Freitag, 21. Juli 2023

Die Wut, die bleibt

Dieser Moment, wenn schon extra die Lederjacke über dem bauchfreien Oberteil geschlossen hast bevor du in die Öffentlichkeit gehst, eine lange Hose und Kopfhörer trägst und schnell und zielstrebig läufst und trotzdem ein Typ es angemessen findet, dich anzufassen. Der sich deine Aufmerksamkeit nimmt. Körperlich. Gegen deine Willen. Und wenn du dann die Kopfhörer abziehst fragt er "wie alt bist du" und "hast du einen Freund" und du übergehst die erste Frage und bejahst die zweite, weil es einfacher ist. Egal ob du einen Freund hast oder nicht, es ist leichter so. Solche Männer werden das Nein eines anderen Mannes immer mehr respektieren als deins. Sie werden dich nicht respektieren. Alles, was du tun kannst, ist rennen. Ist zu sagen, dass du den Bus erwischen musst, zur Haltestelle rennen, einsteigen und beten, dass er dir nicht folgt. Dich auf dem Heimweg immer wieder umdrehen, weil es ja nicht das erste Mal wäre, das du verfolgt wirst. Nicht das erste Mal das einer nur auf den richtigen Moment wartet. 

Beim Anziehen heute morgen habe ich mich bewusst gegen den Rock entschieden. Sah mich im Spiegel an und wusste, dass ich eine Jogginghose mitnehmen müsste, für den Heimweg. Habe die Hose gewählt. Und ja, dieses Oberteil, das freizügig ist und so schön ziehe ich nur an, wenn ich eine Jacke darüber schließen kann, es verstecken kann, damit es keine Einladung wird. Mich verstecken kann, damit ich keine Einladung werde. Denn das bedeutet es eine Frau zu sein. Das ist Alltag. Ich sollte wohl dankbar sein, dass er mich beim dritten Nein in Ruhe gelassen hat, aber wie traurig ist es bitte, dass das der Maßstab ist. Statt Dankbarkeit empfinde ich Wut. So viel Wut.

Ich bin freundlich geblieben, umgänglich. Habe gesagt, dass es mir leid tut, dass ich weg muss. Nicht gesagt, wie unangemessen alles an dieser Interaktion war. Nicht gesagt, dass es ihn einen Dreck angeht, ob ich einen Freund habe. Nicht gesagt, dass ich meinem Freund nicht gehöre, das ich niemandem gehöre als mir selbst. Das dieses Nein meine Entscheidung ist und nur meine. Das das mein Körper ist, den er da berührt hat und das er das nicht durfte. Ich habe ihn nicht beleidigt, bin freundlich geblieben. Habe mein Pfefferspray in der Tasche gelassen. Und warum? Weil ich Angst hatte, alles schlimmer zu machen, ihn wütend zu machen. Das er mir weh tun könnte. Das seine Wut mein Nein überschreibt. So blieb mein Nein diesmal zumindest stehen. Blieb das dritte Nein stehen und ich konnte rennen. Nur die Wut, die bleibt.  

Donnerstag, 30. Dezember 2021

Kreisendes Licht

Du bist der Leuchtturm in der dunkelsten Nacht. 
Du bist der Fixpunkt, zu dem ich immer zurückkehre.
Du bist der Hafen, in dem ich ankern kann.
Du bist das Licht, das mein Zuhause markiert.
Und jetzt gerade bin ich in fernen Gewässern und suche dich am Horizont. Ich weiß, dass ich selbst in See gestochen bin, aber jetzt, wo die Dunkelheit dein Licht verschluckt hast, merke ich, wie sehr du fehlst. 

Sonntag, 3. Oktober 2021

Danach

Manche Menschen jagen Momente, sie machen Fallschirmsprünge und fliegen kilometerweit für ein Konzert. 
Sie erleben einen Moment absoluter Glückseligkeit.

Und danach? 
Was tun sie, wenn der Moment vorbei ist?
Wenn die Endorphine verebben und das Leben weiter geht? 

Ein Mensch hat Monate gespart und hingefiebert auf diesen Moment und was bleibt am Ende davon? 
Eine Erinnerung. 
Eine Erinnerung wird nie genug sein, immer nur ein Abklatsch, ein Foto, das mit der Zeit vergilbt. 
Was bleibt von unseren Träumen nachdem wir sie gelebt haben? 

Seit dem ersten erfüllten Traum, diesem Moment absoluten Glücks, ist es, als wäre alles nur noch ein Schatten, dunkler, weil es in sein Licht getaucht ist. 
Ich werde in den nächsten Jahren nicht nach Texas fliegen. 
Ich werde in den nächsten Wochen nicht bei ihm sein. 
Ich werde in den nächsten Tagen in meinem grauen Alltag versinken und Countdown zählen zum nächsten Falschirmsprung, zum nächsten schwerelosen Moment. 

So wollte ich nie leben. 
So wollte ich nie sein. 
Das habe ich mir immer geschworen. 
An der Vorstellung bin ich damals beinahe zerbrochen, als 2 Jahre ein zu langer Countdown wurden. 
7½ Jahre und doch will mein Kopf es nicht loslassen, wird es vielleicht nie. 
5 Jahre ohne Countdown und jetzt bin ich wieder hier und zähle Tage in einem Kalender. 

Was kommt danach? 
Wann wird der Countdown enden?
Ich weiß gerade nicht mal, worauf ich warte. 
Ich bin in einem endlosen Danach, immer wieder Countdown, Moment und dann dieses quälende Danach. 
Nach dem Film kommt der Anspann.
Was kommt nach diesem Moment? 
Was passiert nach dieser Bahnfahrt?
Was ist nach dem nächsten Treffen?
Was ist nach Dezember?
Was ist nach Frankfurt?
Was ist nach meiner Ausbildung?
Was ist nach mir?
Das Danach tut weh.

Montag, 20. September 2021

Was gut war

- Spekulatius im September
- Jojo küssen, immer wieder Jojo küssen
- Schaukeln in der Nacht
- Jojos Haut auf meiner
- Neue Menschen mit altem Gefühl
- Jojos Lächeln
- Seile auf meiner Haut
- Gegen Jojo Carcassonne verlieren
- Gegen Jojo Dodelido gewinnen
- Flügel, die Gänsehaut machen
- Menschen in ihrem Element sehen
- Jojos Blick, wenn ich ihre Nase Küsse
- spontane Einladungen
- Pläne schmieden für nächste Woche
- Philipp vermissen und lieben
- Annas Stimme als Inspiration 
- Kitschige Worte von Jojo
- Züge verpassen und genau erwischen 
- Erinnerungen an Jena
- Blaue Andenken
- Flauschhaufen mit und ohne Jojo

Jojo, immer wieder Jojo, endlos oft Jojo. Scheiße, bin ich verliebt?

Überleben

Kann mich mal wer kneifen? 
Ständig spüre ich den Schmerz, 
die Erinnerung, dass ich lebe, dass das hier real und mein Leben, meine Wirklichkeit ist. 

Gestern hat mich wer gefragt, ob ich Schmerzen habe und das hab ich meistens, die normale Menge halt, die bei mir schon seit Ewigkeiten nicht null ist. Aber an den meisten Tagen komm ich ohne Schmerzmittel aus und für die anderen ist mein Vorrat groß genug. 
Das hier ist mein gesundes Ich, das gesündeste, dass ich seit ewig war und doch ist es mein chronisch krankes Ich. So langsam habe ich meinen Frieden damit gefunden, wie mein Körper ist und das er mir eben nicht alles ermöglicht, dass ich mir wünsche. Aber er ermöglicht mir doch so viel. Ich habe so viel Leben und auch wenn es nie Alles sein wird, ist es doch mehr als ich je erwartet habe. Manchmal gilt es einfach dankbar zu sein und Gott, ich bin so dankbar für das, was mein Leben ist. Ich habe nie geglaubt, dass ich mal so ein Leben haben könnte und ich mag mich gerne. 
Ich pass auf mich auf. 

Ein Teil von mir fürchtet noch den Absturz, das Ende, aber das ist wohl einfach die Gewohnheit. 
Ich plane noch immer nicht zu weit in die Zukunft aus Angst, dass alles wieder zusammen stürzt, aber seit einer Weile träume ich von Dingen, die noch Monate oder Jahre entfernt liegend. 
In meinem Kopf überlebe ich; Ich überlebe auch noch die nächsten 7 Jahre und vielleicht auch die danach und dann sehen wir mal weiter.
 
Ich glaube, das hier kann ein Leben sein, das bleibt

Sonntag, 27. Juni 2021

Hinter dem Spiegel

In letzter Zeit sehe ich wieder mehr in den Spiegel und betrachte die, die mich von dort anblickt. Seit einer Weile weiß ich jetzt, dass es nicht die Norm ist, einen Spiegel zu brauchen, um zu begreifen, wie Lippen und Augen geformt sind, wie das Kinn sich biegt und die Nase sich bewegt. Seit einer Weile würde ich das Bild hinterm Glas gerne festhalten können, würde gerne die Augen schließen und es sehen können. Seit ich weiß, dass mir etwas fehlt, fehlt es mir tatsächlich. Es fehlt mir, zu wissen, wie sich die Haut um das Blau seiner Augen formt, wenn ich ihn gerade nicht sehe. Es fehlt mir, ihr Lachen, dass ich besser kenne, als jedes andere, vor meinem inneren Auge zu sehen statt nur zu hören. Es fehlt mir, den Schwung seines Bartes, in dem sich so oft meine Finger verlieren, in dieser ungewohnten Entfernung noch zu kennen. Es fehlt mir, eine Beständigkeit zu haben bei etwas, das ich jeden Tag ersten Mal sehe und dann doch nie behalte. 

Zur Zeit ist es fast, als würde ich zwei Leben führen, für eine gewisse Zeit in einer Parallelwelt existieren. Ich bin im Wunderland, bin Alice hinter den Spiegeln. Ich bin noch immer ich, doch in einer anderen Welt wirkt auch mein ich anders. Und ich frage mich, was passiert, wenn ich in die Wirklichkeit zurück muss, wie viel ich durch den Spiegel mit mir nehmen kann. Ein Teil von mir hat Angst, dass das gerade nur eine Ausnahme ist, ein Urlaubs-Ich, das ich ein paar Wochen wieder verschwindet, wenn der Alltag mein Leben beherrscht. Der Alltag drängt und jagt mich, doch er leitet und führt mich auch und eigentlich mag ich meinen Alltag, der gerade so fern scheint, echt gerne. Ich mag die Menschen, die ihn füllen und das Leben, dass ich lebe. Doch ich mag auch dieses Spiegelleben, dieses andere Ich, dass hier plötzlich so klar und sicher ist. Ich will es behalten, wenn ich zurück gehe. Ich will etwas haben, das bleibt. 

Donnerstag, 17. Juni 2021

Meine Seite der Geschichte

Wenn ich schreibe, schreibe ich über mich. Ich-Erzähler ist die Form, in der bloggen funktioniert. Doch manchmal würde ich gerne als allwissender Erzähler schreiben, will schreiben, wie Eve sich vor ihren Laptop setzt und diese Worte tippt und was die Person neben ihr dabei denkt. Doch ich weiß nicht, was die Person neben mir denkt. Ich kenne stets nur meinen eigenen Teil der Geschichte und kann nichts über die der anderen sagen. 

Alles, was ich schreibe, hat einen Bias und ist sehr stark durch meine Wahrnehmung geprägt. So funktioniert die Welt und manchmal überfordert mich das. Manchmal würde ich gerne Gedanken lesen können, würde gerne die Erinnerungen gemeinsamer Erlebnisse von anderen abrufen können und begreifen, wie sehr der Blickwinkel die Geschichte bestimmt. 

Es gibt Menschen, in deren Geschichte ich der Bösewicht bin. Bei manchen von ihnen weiß ich das und kann es verstehen. Bei anderen weiß ich es und möchte es verstehen. Bei einem weiß ich es und möchte widersprechen. Denn er ist ein Bösewicht in meiner. 

Jede Geschichte hat zwei Seiten und ich kenne stets nur meine eigene. Ich weiß nicht, wie ich unsere Beziehung im Nachhinein fair beschreiben könnte, denn mit Innensicht von mir und Außensicht von ihm wird es immer eine klare Tendenz, eine Täterrolle geben. Ich weiß das und doch kann ich es nur bedingt ändern. Selbst, wenn ich immer dazu sage, das seine Taten nur ein Versehen sein könnten, dass das Muster nur ein Zufall sein könnte, spätestens wenn ich von den Flashbacks und der Panik erzähle, die mich heute so verlässlich begleiten, bilden sich Menschen eine Meinung. So wie ich mir ein gebildet habe. Ich sage mir selbst immer wieder, dass ich Unrecht haben könnte, manchmal glaube ich das sogar, aber letztendlich ändert es nichts. Es ändert nicht, dass ich langfristig eine Traumatherapie machen muss. Es ändert nicht, dass ich bei dem einfachen Gedanken daran, ihn wiederzusehen dissoziiere. Es ändert nicht, dass ich an schlechten Tagen Angst vor Duschen habe. 

Wenn ich aus einer allwissenden Perspektive schreiben würde, wäre dies der Teil, an dem seine Meinung steht und seine Sicht der Dinge. Hier würde stehen, wie es ihm heute geht und wer weiß, vielleicht würde sich daraus ein ganz anderes Täterbild ergeben. Vielleicht wäre ich dann die Böse oder dieser Beitrag zumindest besser ausgewogen. Ich wünschte, ich könnte hier die Perspektive wechseln und so zwischen den Worten die Wahrheit finden, was das damals war. Ich wünschte, ich könnte hier ein für allemal klären, welche Seite Recht hat oder wo in der Mitte letztendlich die richtige Perspektive liegt, aber leider bleibt mir nichts als mein eigenes Gefühl, mein eigener verfälschender Blick, um die Dinge einzuordnen. 


Frustriert von dieser Erkenntnis, die sie eigentlich schon immer hatte, beendet Eve ihren Blogpost, atmet einmal tief durch, um all die Gefühle, die sich während des Schreibens in ihr anstauten, rauszulassen und drückt auf den kleinen roten Knopf, der ihre Worte in die Welt schickt, wo sich andere ein Bild davon machen können. Die Menschen um sie herum merken nichts davon. Sie sind mit ihren eigenen Geschichten beschäftigt.